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Für einen erfahrenen Kämpfer ist jede Schlacht ein Bankett. Der Sieg sollte wie der beste Wein oder das extravaganteste Dessert genossen werden. Die Niederlage ist wie ein ranziges Stück Fleisch.
Lehren der Schwertmeister von Ginaz
Die sechzig Schiffe senkten sich auf das Herz von Bandalong hinab, wo Hellica auf sie wartete. Murbella war überzeugt, dass die Mater Superior diese Auseinandersetzung genießen wollte, dass sie mit einer Gegnerin spielen wollte, die sie für unterlegen hielt.
Die selbst ernannte Königin würde von der Neuen Schwesternschaft das typische Verhalten der Bene Gesserit erwarten – Diskussionen und Verhandlungen. Für sie wäre es nur ein Spiel.
Murbella jedoch war keine reine Bene Gesserit. Sie hatte eine Überraschung parat für die Geehrten Matres auf dieser Welt. Sogar mehrere.
Ihre Schiffe, die über dem Palast kreisten, waren gegenüber Hellicas Bodenstreitmacht deutlich in der Unterzahl. Die Huren erwarteten, dass sich die Mutter Befehlshaberin zivilisiert verhielt, dass sie auf diplomatische Gepflogenheiten und Höflichkeiten Rücksicht nahm. Murbella hatte bereits entschieden, dass so etwas reine Zeitverschwendung wäre. Janess, Kiria und die anderen Schwestern in der Stadt wussten, was zu tun war.
Als Murbellas Eskorte zur Landung in der »Falle« der Mater Superior ansetzte, gingen wie verabredet mehrere wichtige Gebäude in Bandalong in Flammen auf. Druckwellen ließen Wände einstürzen und legten Stellungen der Geehrten Matres in Schutt und Asche. Kurz darauf wurden zahlreiche Schiffe auf dem Landefeld des Raumhafens durch Bomben in Trümmerhaufen verwandelt.
Bevor die überraschten Huren rund um den Palast versuchen konnten, die Schiffe ihrer Eskorte abzuschießen, brüllte Murbella in die Sprechverbindung: »Walküren, den Angriff starten!«
Ihre Schiffe begannen mit der Bombardierung und löschten die Schutztruppen aus, die den Machtsitz der Mater Superior umgaben. Aus Zweckmäßigkeitsüberlegungen hatte Murbella entschieden, dass Bandalong entbehrlich war. Hellica und ihre Rebellinnen waren ein gefährlicher Flächenbrand, der gelöscht werden musste. Punkt. Die Huren in der Stadt rannten wütend herum, wie Hornissen, die aus einem brennenden Nest flüchteten.
Dann startete Bashar Wikki Aztin aus dem Orbit eine zweite, erheblich mächtigere Welle von Kriegsschiffen. Das zweite unsichtbare Gildenschiff deaktivierte das Nicht-Feld neben Edriks riesigem Heighliner. Plötzlich fielen zweihundert weitere Angriffseinheiten der Walküren aus der offenen Schleuse und dem Schlachtfeld entgegen.
Bis zur bedauernswerten Vernichtung hatte Richese regelmäßig Rüstungsgüter und Sonderanfertigungen von Kriegsschiffen geliefert. Obwohl der größte Teil der Flotte zusammen mit den Fabriken zu Schlacke verbrannt war, verfügte Ordensburg über ausreichend Feuerkraft, um dieser letzten Bastion der Geehrten Matres den Todesstoß zu versetzen.
Bashar Aztin lenkte die Schiffe gezielt auf strategisch wichtige Ziele und Schlüsselzentren, von denen die Spione in ihren Geheimübertragungen berichtet hatten. Aus ihrem Versteck aktivierte Janess ihre eigenen Kommunikationsverbindungen und koordinierte die Schachzüge ihrer Saboteure mit den Bewegungen der gelandeten Schiffe.
Während andere Kämpferinnen der Schwesternschaft über die Stadt und das umgebende Land ausschwärmten, bemühten sich die Geehrten Matres um eine sinnvolle Verteidigungsstrategie gegen einen so umfassenden Angriff.
Die Mutter Befehlshaberin und ihre Walküren landeten vor dem Palast. Murbella brachte die Militärtransporter so in Stellung, dass das Gelände vollständig abgeriegelt war. Ihre schwarz uniformierten Kämpferinnen strömten nach draußen und umstellten das protzige Gebäude.
Still lächelnd ging Murbella hinein, um die Mater Superior zu töten. Keine Gefangenen. Diesmal war kein anderes Ende denkbar.
Begleitet von ihrem Gefolge aus Walküren schritt die Mutter Befehlshaberin durch den Haupteingang. Wachen der Geehrten Matres in purpurfarbenen Kampfanzügen und Umhängen stürmten herbei, um sich den Invasoren entgegenzustellen, aber die Schwestern konnten den Widerstand schnell brechen.
Im Innern des Palasts kam ihre Gruppe an einem sprudelnden Springbrunnen voll roter Flüssigkeit vorbei, die wie Blut aussah und roch. Statuen von Geehrten Matres durchbohrten erstarrte Bene-Gesserit-Schwestern mit Schwertern, und aus den Wunden der Opfer ergoss sich purpurroter Lebenssaft in das Becken des Springbrunnens. Murbella ignorierte bewusst die geschmacklose Szene.
Zielstrebig fand die Mutter Befehlshaberin den Weg zum großen Thronsaal und schritt mit ihrem kompletten Gefolge hinein, als würde ihr ganz Tleilax gehören. Trotz der angeborenen Gewalttätigkeit der Geehrten Matres konnte es keinen Zweifel am Sieg der weitaus überlegenen Schwestern geben. Murbella hatte jedoch aus dem Studium der Schlacht auf Junction gelernt, bei der sich selbst Bashar Miles Teg durch einen Triumph hatte verlocken lassen, der viel zu einfach erschienen war. Sie hielt Geist und Körper im Zustand höchster Wachsamkeit. Den Geehrten Matres war es schon häufiger gelungen, eine Niederlage in einen Sieg zu verwandeln.
Auf ihrem hohen Thron saß grotesk herausgeputzt Hellica und wartete auf sie, als hätte sie noch immer die absolute Kontrolle über die Situation. »Nett, dass Sie meinem Ruf gefolgt sind, Hexe.« Die selbsternannte Königin trug ein Kostüm in Rot, Gelb und Blau, das einer Zirkusartistin besser zu Gesicht gestanden hätte als der Herrscherin über einen Planeten. Ihr fest zusammengebundener Haarknoten war mit kostbaren Edelsteinen und spitzen Ziernadeln besetzt. »Es war sehr tapfer von Ihnen, sich hierher zu wagen. Und sehr dumm.«
Kühn näherte sich Murbella dem Thron. »Ich habe den Eindruck, dass Ihre Stadt in Flammen steht, Hellica. Sie hätten sich mit uns gegen den anrückenden Feind verbünden sollen. Sie werden in jedem Fall sterben. Warum wollen sie nicht im Kampf gegen einen wirklichen Gegner den Tod finden?«
Hellica lachte ausgelassen. »Gegen den Feind kann man nicht kämpfen! Das ist der Grund, warum wir uns nehmen, was wir haben wollen, und dann zu fruchtbarem Boden weiterziehen, bevor seine ersten Streitkräfte eintreffen. Doch wenn Ihre Hexen es sich in den Kopf gesetzt haben, den Feind mit sinnlosen Schlachten abzulenken, heißen wir die Verzögerung willkommen, weil sie uns mehr Zeit gibt, uns weiter zurückzuziehen.«
Murbella verstand nicht, was Hellica damit erreichen wollte, warum sie ihre Anhängerinnen zusammengerufen hatte, um sie alle in einen demütigenden Konflikt hineinzuziehen, den sie niemals gewinnen konnten. Ihre Angriffe hatten viel Schaden angerichtet – Richese war ein Beispiel dafür – und die Menschheit geschwächt. Zu welchem Zweck?
»Wir waren fast so weit, Tleilax zu verlassen. Im Moment stehen Sie mir im Weg.« Die Mater Superior erhob sich und nahm Kampfhaltung an. »Andererseits ... wenn ich Sie töte und Ihre Neue Schwesternschaft übernehme, werden wir vielleicht noch etwas länger bleiben.«
»Es gab eine Zeit, in der ich versucht hätte, Sie umzuerziehen. Nun ist mir jedoch klar, dass die Mühe vergebens wäre.«
Hellica wollte diesen Konflikt. Anscheinend machte sie sich keine Illusionen, was ihre Überlebenschancen betraf, da sie wissen musste, welche blutigen Kämpfe überall in Bandalong tobten. Es konnte nur ihre Absicht sein, so viele Opfer wie möglich zu hinterlassen, mehr nicht. Weitere Explosionen hallten durch die Stadt.
Murbella starrte die hübsche Frau an und stellte sich vor, wie Hellica tot am Fuß des Podests lag, auf dem ihr Thron stand. Das Bild war so deutlich, dass sie wie eine prophetische Vision erschien. Eine klassische Schwertmeister-Technik.
Am Rande ihres Blickfelds bemerkte Murbella flackernde Schatten, Menschen, die sich verstohlen um den Thronsaal herumschlichen. Dutzende von Geehrten Matres bereiteten einen Hinterhalt vor. Aber sie würden es nicht schaffen. Ihre Walküren warteten nur auf eine solche Falle, auf das verzweifelte letzte Gefecht. Sie waren kampfbereit und setzten ihre Überzahl dazu ein, sich ins Getümmel zu stürzen. Gleichzeitig rasten Bashar Aztins Angriffsschiffe in dichten Formationen über den Himmel und ließen den Palast erzittern.
Murbella stürmte die Stufen zum Podest hinauf, als Hellica sich über eine Armlehne beugte. Die beiden verkeilten sich wie kollidierende Asteroiden ineinander, aber Murbella nutzte ihren Schwung für eine Stabilisierungstechnik der Schwertmeister und warf Hellica zu Boden.
In einem Gewirr aus tödlichen Schlägen und Blockaden rollten Murbella und die selbsternannte Königin über die Steinfliesen und zerrten aneinander. Die Mutter Befehlshaberin riss mit einem Fingernagel eine lange Furche in Hellicas Wange. Darauf schlug diese ihre Stirn gegen Murbellas Stirn, die für einen kurzen Moment benommen war, was Hellica genug Zeit gab, sich loszureißen.
Die Gegner sprangen auf die Beine und wichen zurück. Die Mater Superior verfügte über unorthodoxe Kampftechniken, die deutlich fortgeschrittener waren als alles, was Murbella während ihrer Ausbildung als Geehrte Mater kennengelernt hatte. Also hatte Hellica sich weiter ausgebildet und sich verbessert.
Daraufhin änderte Murbella ihre Taktik und nutzte die Gelegenheit zu einem Schlag, aber Hellica bewegte sich mit überraschender Geschwindigkeit, schneller, als Murbella ausweichen konnte. Ein harter, schmerzhafter Stich verletzte ihren linken Oberschenkel, aber die Mutter Befehlshaberin ging nicht zu Boden. Sie blockierte ihre Nervenrezeptoren, betäubte den Schmerz in ihrem Bein und warf sich wieder in den Kampf.
Eine Geehrte Mater kämpfte mit impulsiver Gewalttätigkeit und verließ sich auf ihre Stärke und Schnelligkeit. Auch Murbella besaß diese Fähigkeiten, die jedoch mit der lange vergessenen Kunst der Schwertmeister kombiniert und durch das Geschick der Bene Gesserit verfeinert worden waren. Sobald sich Murbella auf die neue Situation eingestellt hatte, hatte die Mater Superior keine Chance mehr.
Murbella überlegte sich eine eigene überraschende Reaktion, eine Abfolge von Bewegungen und Gegenschlägen. Der Zufälligkeit in Hellicas Kampfstil lag ein Muster zugrunde, wenn man ihn aus einer größeren Perspektive betrachtete. Murbella brauchte kein Schwert – sie brauchte im Grunde überhaupt keine Waffe – außer sich selbst.
Trotz der rasend schnellen Bewegungen der Mater Superior erkannte Murbella eine deutliche Schneise der Verletzbarkeit – und handelte dementsprechend. In dem Augenblick, als sie sich das Geschehen vorstellte, wurde ihr Angriff bereits zur Erinnerung. Die Handlung war vorbei und erfolgreich abgeschlossen, sobald sie sie durchführte.
Mit der Wucht einer Dampframme schlug ihr rechter Fuß unter Hellicas Brustkorb und drang bis zum Herzen ein. Hellica riss die Augen auf, und ihre Lippen formten einen Fluch, ohne dass sie ihn aussprechen konnte. Sie stürzte vor dem Podest zu Boden, genau wie Murbella es vorhergesehen hatte.
Keuchend wandte sich die Mutter Befehlshaberin ab und musterte die Handvoll noch lebender Geehrter Matres, die sich einen Kampf mit den Walküren lieferten. Viele Leichen in bunten Anzügen lagen bereits über die Steinfliesen verstreut, zusammen mit ein paar wenigen Schwestern. »Aufhören! Ich bin jetzt eure Mater Superior!«
»Wir gehorchen keinen Hexen«, gab eine Frau entrüstet zurück, während sie, bereit zum Weiterkämpfen, sich Blut vom Mund wischte. »Wir sind keine Närrinnen.«
Am Rand ihres Blickfeldes bemerkte Murbella, wie sich die tote Mater Superior veränderte. Die Mutter Befehlshaberin wandte sich wieder ihrem Opfer zu und verfolgte die unglaubliche Verwandlung. Hellicas Gesicht erschlaffte und nahm eine hellgraue Färbung an, ihre Augen sanken tiefer ein, ihr Haar kräuselte sich. Das Wesen, das die Rolle der selbsternannten Königin gespielt hatte, zeigte eine Knollennase, einen winzigen Mund und schwarze Knopfaugen.
Murbellas Gedanken rasten, und sie nutzte den Augenblick des fassungslosen Erstaunens. »Ihr hattet keine Bedenken, einem Gestaltwandler zu gehorchen! Wer ist hier jetzt die Närrin? Wie viele von euch sind noch Gestaltwandler?«
Während einige weiter gegen die Walküren kämpften, blickten die restlichen Geehrten Matres auf das Geschöpf in den bunten Kleidern mit dem leeren Gesicht, das Hellica gewesen war. Immer mehr von den Huren hielten verdutzt inne und starrten schockiert auf die Szene.
»Mater Superior!«
»Sie war nicht menschlich!«
»Gehorcht eurer Anführerin!«, befahl Murbella und brachte sich in Position. »Ihr seid den Anweisungen eines Gestaltwandlers gefolgt, der sich in eure Reihen eingeschlichen hat. Ihr wurdet verraten und betrogen!«
Nur eine Wächterin der Geehrten Matres kämpfte noch unbeirrt weiter. Die Walküren hatten bald kurzen Prozess mit ihr gemacht, und Murbella überraschte es nicht, dass sich auch diese Frau nach ihrem Tod als Gestaltwandler erwies.
Sie waren hier und auf Gammu. Wie weit hatte sich diese heimtückische Infiltration schon ausgebreitet? Hellicas Provokationen hatten auf irgendeine Weise mehr den Gestaltwandlern als den Huren gedient. War diese Intrige von den Verlorenen Tleilaxu angezettelt worden? Hatte sie ein noch weit größeres Ausmaß? Für wen kämpften die Gestaltwandler in Wirklichkeit? Waren sie vielleicht schon eine Vorhut des Feindes, die das Alte Imperium von innen schwächen sollte?
Murbella dachte an all die Enklaven der Rebellinnen, den Widerstand und die Gewalt, die die Kräfte der Neuen Schwesternschaft gebunden hatten. War alles nur ein Plan gewesen, um die Verteidigung der Menschheit zu schwächen? Um die Menschen gegeneinander aufzuhetzen, damit sie verletzlicher wurden und der Feind ohne größere Schwierigkeiten sein Ziel erreichen konnte? Nachdem der Kampf in der Stadt größtenteils vorbei war, strömten immer mehr Walküren in den Thronsaal und sicherten ihre Stellung im knallbunt dekorierten Palast. In ganz Bandalong kämpften Hellicas noch übrige Anhängerinnen bis zum Tod, während der Gildenheighliner im stationären Orbit blieb und das Geschehen aus sicherer Entfernung beobachtete.
Ihre Janess – vom Kampf mitgenommen, aber mit strahlenden Augen – führte sie an. »Mutter Befehlshaberin, der Palast gehört uns.«